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Status vor Herz?!

  • Autorenbild: Lotta
    Lotta
  • 29. Aug. 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Sept. 2021

„Mit dem würde ich im normalen Leben nicht mal reden.“ Ich sitze mit einer Freundin im Café. Wir haben zuvor über ihren Nachmieter gesprochen. Mir bleibt fast das Stück Kuchen im Hals stecken, als ich diesen Satz höre. Das hat sie nicht wirklich gesagt? Kurz zum Hintergrund: Meine Freundin Elisa zieht bald aus ihrer Einzimmerwohnung aus und muss sich aktuell mit ihrem Nachmieter bezüglich des Einzugs und einigen anderen Dingen abstimmen. Sein Kleidungsstil ist mit dem langen hautengen T-Shirt und der verwaschenen Jeans tatsächlich auch nicht mein Geschmack. Auch die Igelfrisur ist nicht mehr unbedingt aktuell aber so wie ich die Telefonate mitbekommen habe, scheint er ein netter Mensch zu sein. Innerlich platze ich vor Wut auf sie. Wie kann man nur so ekelhaft von oben herab sein? Und wieder einmal ärgere ich mich zutiefst, dass ich nicht genau das ausgesprochen habe. Elisa hat einen guten Job und schon immer viel Wert auf Statussymbole, Äußerlichkeiten und einen IQ von 115 aufwärts gelegt. So gut wie jede:r ist ihr „zu dumm“. Und das lässt sie den anderen auch spüren. Wieso muss man so sein? Vielleicht entspricht er nicht den Äußerlichkeiten aber hat ein gutes Herz? Ist das nicht sogar noch viel mehr wert? In diesem Moment realisiere ich mal wieder wie unterschiedlich wir sind. Elisa als kühler Rationalist, ich als empathischer Freigeist. Es ist so unfair Leute in Schichten zu teilen und sie zu beurteilen. Ich denke jeder Mensch – ob die Putzfrau im Büro, der Obdachlose vor dem Einkaufszentrum oder der Boss im Jogger – kann ein gutes Herz haben und das sollte so viel mehr geschätzt werden als Reichtum und Intelligenz. Für diese Einstellung bin ich meiner liebevollen Mutter dankbar, die es mir gelehrt hat zu allen Menschen gut, empathisch und verständnisvoll zu sein. Und ja, das macht mich vielleicht auch manchmal etwas naiv und gutgläubig aber das nehme ich deutlich lieber in Kauf als so ein charakterlich hässlicher Mensch zu sein.


Neulich habe ich eine Datingshow gesehen, in der zwei Menschen aufgrund gleicher Interessen und Vorstellungen gematcht werden und sich bei einem Blind Date das erste Mal sehen. Jasmin kam zur Tür herein, wirkte erstmal ganz nett, wünschte sich einen sportlichen Typen auch wenn sie selbst nicht die größte Sportskanone zu sein schien aber okay. Sie nahm an der Bar Platz und bestellte einen Drink. Dann kam ihr Datepartner zur Tür herein. Er hatte eine Gehbehinderung, passte meiner Meinung nach optisch aber total gut zu Jasmin. Als er sich im Interview zuvor kurz vorstellte dachte ich mir direkt „was für ein netter Kerl“ und hoffte allein für ihn, dass es gut ausgehen würde. Als Jasmin ihn sah (ohne auch nur EIN Wort mit ihm gewechselt zu haben!), sagte sie direkt „Oh Gott, nein, auf keinen Fall“. Da blieb mir wieder mal kurz die Kinnlade unten. Nur weil du seine Gehbehinderung siehst? Gib ihm doch eine Chance sich wenigstens vorzustellen! Er begrüßte sie freundlich, setzte sich neben sie und versuchte verzweifelt ein Gespräch zu beginnen. Sie saß völlig unterkühlt daneben, antwortete einsilbig, widmete ihm keines Blickes. Ich hätte wirklich heulen können. Wie kann man so bösartig sein? Und nein, sie muss ihm ja nichts vorspielen und es ist auch okay, wenn sie sich einen Partner mit Gehbehinderung nicht vorstellen kann aber kann man dem Gegenüber nicht wenigstens den Respekt entgegenbringen, den er verdient? Jemanden so zu behandeln ist in meinen Augen menschenunwürdig. In dem Moment war ich einfach nur schockiert von so viel Oberflächlichkeit. Ist das wirklich die Welt in der wir gerade leben?


Elisa erzählt, wie eigentlich immer, die ganze Zeit von ihrem Job. Während meine Gedanken nur an dem einen Satz festhängen, rauschen ihre Worte nur so an mir vorbei. Ich realisiere, was für ein Mensch mir gegenüber sitzt und mir wird erst in diesem Moment bewusst, dass unsere Ansichten unterschiedlicher kaum sein könnten. Das war schon oft so aber erst jetzt begreife ich, dass ich diesen Menschen nicht in meinem Leben haben möchte. Dies war unser letztes Treffen im Café. Ich würde sagen eine „einvernehmliche Trennung“. Mehr dazu liest du hier.


Ich möchte gar nicht sagen, dass ich ein völlig urteilsfreier Mensch bin. Auch ich mache mir manchmal zu vorschnell ein Bild von jemandem. Wie oft wird man nach einem Gespräch dann aber doch vom Gegenteil überzeugt? Oder der Obdachlose auf der Straße. Vielleicht hat er durch einen Schicksalsschlag seine Existenz verloren und möchte einfach überleben. Kein Grund ihm böse Blicke oder gar Schlimmeres zuzuwerfen. Wir können nicht hinter die Fassade schauen. Wissen nicht, was dieser Mensch vielleicht schon durchstehen musste. Sehen nicht sein gutes Herz. Vielleicht lernen wir die Menschen lieber erstmal kennen, hören uns ihre Geschichte an und bilden uns anschließend ein Urteil.


Es passiert so viel Schlimmes auf dieser Welt, ist es nicht also noch wichtiger zusammenzuhalten? Wir Menschen. Egal woher, wie alt und wie hoch das Einkommen. Zumindest das liegt in unserer Hand: gut und respektvoll zueinander zu sein.


ree

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